Bücherturm

Getürmtes Wissen in der Hochschulbibliothek Zittau/Görlitz

von Maria Elger, David Pidde und Ralf Schwarzbach

„Der Wert des Buches richtet sich vor allem nach bestimmten Eigenschaften. In Leder gebundene Bücher können beispielsweise beim Abziehen von Rasierklingen unbezahlbare Dienste leisten. Dünne Broschüren dagegen eignen sich vortrefflich dazu, wackelnden Tischchen das Gleichgewicht wiederzugeben. Ein Lexikon ist hervorragend geeignet, einen Einbrecher gefechtsunfähig zu machen.“
                       Mark Twain

Vorgeschichte

Die Idee entstand im Sommer beim Besuch der Prager Stadtbibliothek, wo eine Buchskulptur des Künstlers Matej Kren steht. Die Vorstellung, dass dies auch in Zittau möglich ist, stieß bei der Direktorin der Hochschulbibliothek Frau Dr. R. Konschak auf offene Ohren. Mit Prof. Dr.-Ing. J. Tomlow war schnell der richtige Ansprechpartner im Fachbereich Bauwesen gefunden.

 

Projektthema

Die Schaffung eines Kunstobjektes aus circa 3.500 ausgesonderten Büchern in der Bibliothek der Hochschule Zittau/Görlitz. Das Objekt soll einen Bezug zwischen den Lernenden, also dem Studenten, und der Bibliothek, als den erweiterten Ort des Lernens außerhalb des Hörsaals, schaffen.

Objektbeschreibung

Eine Plastik aus Büchern zu schaffen, vermag zunächst nichts Besonderes zu sein, jedoch bedenkt man, dass im hiesigen Projekt Bücher verschiedener Formate, Farben und Erhaltungszustände verwendet werden, erhält das Gesamtwerk eine völlig neue Dimension der künstlerischen Herausforderung, welche es zu meistern gilt. Die Bücher dienen hier als einzige bildsame Masse zur Herstellung des Kunstgegenstandes, wobei auf sämtliche Hilfsmittel zur Stabilisierung verzichtet wird. Keine Holzkonstruktion oder Ähnliches gewährleistet den sicheren Stand der Plastik. Das Werk steht in sich angemessen stabil, getragen nur durch das Eigengewicht der Bücher.

Es ist der Gedanke, dem Betrachter durch „Umformung“ der kantigen Urform der Bücher im aufbauenden Prozess des Kunstwerkes, einen Eindruck von Leichtigkeit des Objektes zu vermitteln. Das Künstlerteam, betreut von Professor Tomlow, beschloss einen Turm in Form einer Spirale zu bilden. Nachdem sich bei einer rechteckigen Spirale zunehmend Probleme ergaben, entstand das Konzept eines stehenden Kegels, der sich nach oben verjüngt, wodurch aus kantigen Büchern eine „runde Sache“ entstünde und der zu vermittelnde Eindruck von Leichtigkeit für den Betrachter wahrnehmbar in Erscheinung tritt. Die Turmspirale ist als Kurve angelegt, welche sich um die in der Mitte stehende Säule bewegt. Die sonst konsequent eingehaltene Rundung der Spirale findet Unterbrechung in der eckig angelegten Säule im Zentrum des Werkes, welche sich wie ein Monument aus dem Mittelpunkt erhebt und symbolisch auf die eckige Urform des Buches verweist, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass lediglich nur das Lernen Zentrum eines ordentlichen Studiums sein kann. Hier wird symbolisch eine Synthese zwischen Student und Bibliothek geschaffen, welche als Ort und Quelle des Wissens zu deuten gilt, ohne die der Lernende seine Aneignung von Bildung im stetigen Selbststudium nicht verwirklicht sehen kann.

Weiterhin ist die Spiralform in Anlehnung an die Darstellungen des biblischen Turmbaus zu Babel gewählt, weil nach Auffassung der Künstler die Wiege des Wissens in der Antike liegt, wo historisch betrachtet die Geschichte vom besagten Turmbau einzuordnen ist. Die Spirale lässt die Wirkung aufkommen, dass sich die äußeren Buchmauern zum Mittelpunkt bewegen, wodurch das Zentrum abermals an Bedeutung und Sinnhaftigkeit gewinnt.

Auch wenn die Mauern fast schon wehrhaft anmuten, bleibt die Wirkung von Leichtigkeit durch geschickte Farbwahl der Bücher im Bauwerk erhalten. Der Turm wirkt einerseits wie ein Bollwerk, wie eine Festung, jedoch auch leicht und beschwingt. Hier wird zum Ausdruck gebracht, dass konsequentes und andauerndes Lernen auch Mühe macht und sich der Student gegen äußere Ablenkung zur Wehr setzen muss. Aber auch gesellige Stunden im Kommilitonenkreis bestimmen und erleichtern das Studium – daher der vermittelte Gedanke von Standhaftigkeit und Leichtigkeit, welcher sich im Bauwerk wiederfindet.

Bibliothek und Aussonderung

Das Aussondern von Büchern ist nachwievor eine ungeliebte Tätigkeit in Bibliotheken. Zum einen wollen die neuen Bücher schnell in die Regale, zum anderen wurden diese Bücher vor ein paar Jahren erst katalogisiert, ein Dritter meint gar, es leide die Statistik.
Dabei sind Aussonderungen nötig. Gerade in Hochschulbibliotheken werden für die Lehre dringend neueste Auflagen benötigt. Ferner ist die Ressource Raum knapp bemessen. Dabei stellt die Sächsische Verwaltungsvorschrift „Über die Aussonderung von Bibliotheksgut“ (VwV Aussonderung, vom 7. März 2001) die Rahmenbedingungen: 

Was kann ausgesondert werden? Wer ist dafür zuständig? In welcher Reihenfolge erfolgt die Abgabe? Wie ist das Verfahren der Aussonderung? Zusammen mit dem lokalen Aussonderungsprofil ist damit ein konkretes Arbeitsinstrument geschaffen, transparente Aussonderungsabläufe darzustellen.

Ergebnis

Die Vorgaben seitens der Bibliothek wurden erfüllt:
 

  • es soll ein Kunstwerk entstehen und
  • die verwendeten Bücher dürfen nicht beschädigt werden. Denn sie werden am Ende des Kunstprojektes beispielsweise im Rahmen eines Buchbasars verkauft.


Am Ende entstand ein Kunstwerk, das zu einem wahren Blickfang wurde. Zusammen mit der eher kargen Architektur des Hauses entfaltet es seinen ästhetischen Reiz.

P.S.: Bis 9. September 2011 stand der Bücherturm. Er wurde aufgrund von Bauarbeiten in der Bibliothek abgebaut.

Fotos: HSZG